Projekt „Vor 80 Jahren – Sindelfingen im Krieg“ des Stadtmuseums und Stadtarchivs Sindelfingen

Februar 2024 – Februar 1944
Die langen Schatten des Krieges. Wie die Luftschutzstollen des Zweiten Weltkriegs Sindelfingen noch Jahrzehnte beschäftigten

Das Projekt "Vor 80 Jahren - Sindelfingen im Krieg" stellt monatlich wechselnd ein Thema oder ein Objekt aus der Zeit vor 80 Jahren im Stadtmuseum in den Mittelpunkt. In Zusammenarbeit mit dem Stadtarchiv entsteht auf diese Weise ein Blick in die Vergangenheit, der u.a. die Alltagssituation der Menschen damals in den Blick nimmt. Die Texte sind auch auf der städtischen Homepage nachzulesen.
Die Monatsvitrine zum Thema wird ab Freitag, den 23.02. im Stadtmuseum zu sehen sein.

Bereits vor Kriegsbeginn im September 1939 hatten sich die NS-Machthaber mit dem Thema Luftschutz beschäftigt. Aufgrund von Arbeitskräfte- und Materialknappheit – andere kriegsvorbereitende Bauten wie der sogenannte Westwall hatten Vorrang – waren aber im Herbst 1939 über die vorhandenen Keller hinaus erst wenige Luftschutz-Bauten errichtet worden. Die Situation änderte sich, als im Spätsommer die ersten Luftangriffe auf Berlin erfolgten. Das „Führer-Sofortprogramm“ sah nun den Bau von oberirdischen betonierten Bunkern für die Großstädte im Deutschen Reich vor.
Mit der zunehmenden Luftüberlegenheit wurde das Programm 1943 erweitert. Nun sollten auch in kleineren Städten unterirdische Luftschutzstollen gebaut werden. Die Bauweise war einfach und zur Materialersparnis wurden die Stollengänge zumeist in Holzbauweise ausgeführt. Die Einwohnerschaft der jeweiligen Stadt als auch die Mitarbeiter ansässiger Industriebetriebe wurden zum Bau herangezogen.
Aus einem Schreiben der Stadtverwaltung an das Landratsamt in Böblingen vom 11. Februar 1944 sind wir über den seinerzeitigen Stand des Stollenbaus in Sindelfingen informiert. Es wird berichtet, dass die Firma Daimler-Benz am Goldberg bereits eine große Stollenanlage für ihre Belegschaft zu bauen begonnen hatte. Nach einer Vereinbarung zwischen der Stadt und der Firma sollten dort auch ca. 500 Menschen aus dem südlichen Stadtgebiet Schutz finden können. Darüber hinaus sei mit der Planung einer zweiten Stollenanlage an der Burghalde begonnen worden, die für 1.200-1.500 Menschen aus der Altstadt und dem östlichen Stadtgebiet als Luftschutzraum dienen sollte.
Wie umfangreiche Akten im Stadtarchiv belegen, waren für das eilige Bauvorhaben viele Details zu klären: die Beschaffung des Stollenholzes, die Ablagerung des Erdaushubs, die Abholzung von Obstbäumen samt Entschädigungsregelung, die Anlage von Zugangswegen und anderes mehr. Im März 1945, wenige Wochen vor der Besetzung Sindelfingens durch französische Truppen, wurde zwischen der Stadt und der Firma Daimler-Benz immer noch um einen Nutzungsvertrag für den längst in Betrieb genommenen Goldberg-Stollen verhandelt.
Mit Kriegsende waren die organisatorischen und technischen Probleme mit den Stollenbauten übrigens keineswegs beendet. Die Frage der Entschädigung für die Grundstücksbesitzer hatte zwischen der Firma Daimler-Benz, der Stadt und dem Bund als Rechtsnachfolger des Deutschen Reichs ein langes juristisches Nachspiel. Eine technische Absicherung wurde immer drängender, nachdem die Stollen an verschiedenen Stellen einzubrechen begannen und es zu Schäden an der darüber liegenden Bebauung kam.
Vielleicht kann sich noch jemand außer mir erinnern, dass sich auf dem Gelände des Goldberggymnasiums im Sommer des Jahres 1972 plötzlich ein Loch auftat – verursacht durch einen eingebrochenen Stollenabschnitt.
Schließlich wurden die noch vorhandenen Hohlräume kurz darauf von oben angebohrt und verfüllt. Zugänglich waren die Stolleneingänge bereits seit Kriegsende nicht mehr. Heute zeugen noch einige Geländemulden, z.B. gegenüber dem Wasserspielplatz im Sommerhofenpark, von den ehemaligen Eingängen.
 
(Text: Horst Zecha)
 

Plan „Luftschutzstollen Herrenwald“ vom Oktober 1944, Stadtarchiv Sindelfingen
Plan „Luftschutzstollen Herrenwald“ vom Oktober 1944, Stadtarchiv Sindelfingen
(Erstellt am 20. Februar 2024)