Ausstellung der Galerie Stadt Sindelfingen: Expression und Geste - Papierarbeiten aus der Sammlung Lütze

Die Galerie Stadt Sindelfingen zeigt ab Freitag, den 03. Mai bis zum 30. Juni 2024 die Ausstellung Expression und Geste – Papierarbeiten aus der Sammlung Lütze mit Werken von Max Ackermann, Georg Baselitz, Willi Baumeister, Peter Brünnig, Rolf Cavael, Emil Cimiotti, Otto Dix, Karl Otto Götz, Camille Graeser, Adolf Hölzl, Alexej v. Jawlensky, Wassily Kandinsky, Ida Kerkovius, Markus Lüpertz, August Macke, Franz Marc, Oskar Schlemmer, Bernard Schultze, Emil Schumacher, K. R. H. Sonderborg, Walter Stöhrer und Fritz Winter. Die Ausstellungseröffnung findet am Freitag, den 03. Mai 2024 um 19:00 Uhr statt.

Als die Stadt Sindelfingen Mitte der 1980er Jahre große Teile der Sammlung des in Stuttgart ansässigen Unternehmers Diethelm Lütze ankaufte, ging dies mit der Gründung des Lütze Museums einher, der heutigen Galerie Stadt Sindelfingen. Die Sammlung Lütze ist somit sowohl der Ursprung der Galerie als auch ihrer umfassenden Sammlung. Mit ihrem Schwerpunkt auf die Kunst des späten 19. und 20. Jahrhunderts, ist sie ein Zeugnis jener tiefgreifenden Umwälzungen, die die Moderne prägten. Die bürgerliche und industrielle Revolution hatte die europäischen Gesellschaften in ihren Grundfesten erschüttert und althergebrachte Strukturen aufgelöst. Während wissenschaftliche Erkenntnisse und der technische Fortschritt veränderten, wie man die Welt sah und wahrnahm, bedeuteten nicht zuletzt die beiden Weltkriege eine Zeitenwende. In der Kunst und insbesondere in der Malerei machte sich dies durch eine Abkehr von der gegenständlichen Welt bemerkbar. Die Künstlerinnen und Künstler lösten sich von der naturgetreuen, realistischen Darstellungsweise, die über Epochen hinweg das Grundprinzip der Kunst war. Sie begannen einen individuellen künstlerischen Ausdruck zu erproben, der Gefühle, Emotionen und Seelenzustände spiegelte und mit einer abstrahierenden Vereinfachung der Formen einherging. In der Ausstellung Expression und Geste lassen sich diese Entwicklungen anhand der expressionistischen Werke von Otto Dix, Alexej von Jawlensky, August Macke, Franz Marc und Rudolf Müller exemplarisch nachvollziehen. Beispielsweise vermittelt Otto Dix in seiner Zeichnung Sterbender Krieger (1917) das Leid des Soldaten nicht durch eine naturgetreue Illustration, sondern durch die expressive Darstellung, welche den Körper und die Landschaft mit energisch gesetzten Strichen umreißt. August Mackes Tuschezeichnung Der Lehrling (1913) zeigt ebenfalls eine schnelle, skizzenhafte Technik, die eine für den Künstler typische Straßenszene andeutet und die charakteristischen langgestreckten Körper hervorhebt. Camille Graesers Entwicklung verdeutlicht währenddessen die Vielfalt und die Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen kunsthistorischen Strömungen, die vom Expressionismus geprägt wurden. In der Tuschezeichnung Uhlbach (1918) ist eine prismatische, nahezu kubistische Zerlegung der Formen zu erkennen, die sich zwar noch an dem Innenraum einer Kirche orientiert, ihn aber in hohem Maße abstrahiert. Die Druckgrafiken und Zeichnungen von Franz Ackermann, Willi Baumeister, Adolf Hölzl, Wassily Kandinsky, Ida Kerkovius und Oskar Schlemmer geben Aufschluss darüber, wie die Neuerungen des Expressionismus auch zu seiner Überwindung führten. Adolf Hölzls Glasfensterentwurf (1932) ist ein Beispiel seiner an Linien gebundenen, flächigen Bildfindungen, die vor allem durch runde und ovale, farbig akzentuierte Farbfelder gekennzeichnet sind, in denen Figürliches nur noch angedeutet wird. Ida Kerkovius, die wie Franz Ackermann und Willi Baumeister Schülerin von Adolf Hölzl war, schuf eine von der Polarität von Form und Farbe inspirierte Bildsprache, die bewusst auf thematische Deutungen verzichtete. Wie die Rhythmische Punkt-Kreis-Komposition (1959/60), laden ihre Werke dazu ein, sich vollständig auf die Schönheit und Harmonie der abstrakten Formen einzulassen. Drei Druckgrafiken von Wassily Kandinsky machen zudem nachvollziehbar, wie auch er sich schrittweise vom Vorbild der Natur löste und durch eine kontinuierliche Steigerung des Abstraktionsgrades zu einer geometrischen Formensprache gelangte. Die Informelle Kunst entwickelte sich in der Nachkriegszeit, nachdem die Oppressionen des Nationalsozialismus viele der in der Ausstellung vertretenen Künstlerinnen und Künstler als entartet diffamiert, ihre Werke aus den Sammlungen öffentlicher Museen entfernt oder sogar zerstört hatten. Die freie, ungebundene gestische Abstraktion des Informels war somit auch ein Ausdruck der wiedererlangten künstlerischen Freiheit. Die offen gehaltenen Formen, Flächen und Linien der Werke von Peter Brüning, Rolf Cavael, Emil Cimiotti, Karl Otto Götz, K.R.H. Sonderborg und Fritz Winter bewegen sich zwischen Spontanität und Kontrolle. Sie stehen beispielhaft für die informelle Malerei, in der der individuelle, subjektive künstlerische Ausdruck im Spannungsfeld von Formauflösung und Formfindung in den Fokus rückte. Emil Schumacher und Bernhard Schulze legten ihren Fokus auf die Verwendung der Malmittel und beschritten so ganz neue Wege. Mit seinem Zungen-Migof (1963) verließ Bernhard Schulze die Zweidimensionalität, um den Bildraum ins Dreidimensionale zu erweitern. Emil Schumacher erreichte in der Arbeit 5/1974 durch die pastose Verwendung von Farbe einen vergleichbaren Effekt. Die sogenannten Neoexpressionisten Georg Baselitz und Markus Lüppertz, ebenso wie der Däne Per Kirkeby, die alle drei in den 1970er und 1980er Jahren an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe unterrichteten, schlagen eine Brücke und offenbaren, wie das Expressive und Informelle auch in der Folgezeit weiterwirkte. Während Markus Lüppertz und Per Kirkeby sich in diesen Jahren für eine kurze Phase der gestischen Abstraktion zuwendeten, was anhand ihrer in der Ausstellung vertretenen Papierarbeiten deutlich wird, stellte Georg Baselitz ab Mitte der 1970er Jahre die Abbildfunktion des Motivs in Frage, indem er es wie in Tanzende Frau (1987/88) auf den Kopf stellte.